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Sendestation in der Natur: „Datscha Radio“ in Pankow

08.09.2017. Rafik Will. Medienkorrespondenz: https://www.medienkorrespondenz.de/hoerfunk/artikel/sendestation-in-der-natur-datschanbspradionbspinnbsppankow.html

Unter dem Titel „Plots & Prophecies – Parzellenprognosen“ fand im Berliner Bezirk Pankow vom 25. bis 29. August das Radiokunst-Festival „Datscha Radio 17“ statt. Über die fünf Tage wurde dabei ein Programm aus Hörstücken, Performances, Diskussionsrunden, Lesungen und Live-Konzerten realisiert und im Radio ausgestrahlt. Das von der Künstlerin Gabi Schaffner initiierte Projekt definiert sich als eine „temporäre Radiostation mit wechselnden Standorten“ und auch als „globales Gartenforschungsprojekt“. Im Jahr 2014 machte „Datscha Radio. A Garden in the Air“ Station bei der Landesgartenschau im hessischen Gießen, in diesem Jahr war (wie schon im Entstehungsjahr 2012) Schaffners eigene Datscha in der Garten- und Siedlergemeinschaft Einigkeit e.V. Veranstaltungsort.
Ausgestrahlt wurde „Datscha Radio 17“ sowohl durchgängig als Internetstream wie auch – zu großen Teilen – über UKW. Für die Übertragung des „Datscha-Radio“-Webradios stellte die 2006 von Udo Noll geschaffene Plattform „radio aporee“ ihre Infrastruktur zur Verfügung. Eine UKW-Übertragung war möglich, weil einige Veranstalter bei der von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) ins Leben gerufenen nicht-kommerziellen Frequenz 88,4 MHz in Berlin (sowie 90,7 MHz in Potsdam) ihre Sendezeit zur Verfügung gestellt hatten. Dazu gehörte unter anderem der über die meiste Sendezeit verfügende „Pi Radio Verbund“.
Der Garten gehört zum Konzept
Der Garten gehört bei „Datscha Radio“ als integraler Bestandteil zum Konzept und dient nicht nur als Kulisse. Die Installation einer Sendestation in der kultivierten Natur bildet hier die Grundlage zur Verknüpfung der Themenfelder Mensch, Natur und Technik. Bemerkbar machte sich der interdisziplinäre Ansatz auch im Programm der diesjährigen, nunmehr dritten Ausgabe von „Datscha Radio“, wobei jeder Tag einen eigenen Schwerpunkt aufwies. Die Themenpalette reichte von gesellschaftspolitischen und stadtsoziologischen Aspekten des Gärtnerns bis hin zu Kommunikationsformen von Tieren und Pflanzen, die man im Garten findet.
Kuratorinnen bei „Datscha Radio 17“ waren neben Gabi Schaffner die Klang- und Radiokünstlerin Kate Donovan, die Musikerin und Musikpädagogin Shanti Suki Osman, die bildende Künstlerin und Musikjournalistin Niki Matita sowie die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Verena Kuni. Letztere konnte zum Festival selbst nicht anreisen, sonst waren alle Kuratorinnen vor Ort und betätigten sich auch als Moderatorinnen, Performerinnen und DJs. Gestaltet wurde das auf eine internationale Zuhörerschaft zielende Programm sowohl in Deutsch als auch in Englisch, was außergewöhnlich gut funktionierte, nicht zuletzt deshalb, weil es sich bei Donovan und Osman um zwei englische Mutter­sprachlerinnen handelt.
In seinem Sendeschema setzte „Datscha Radio 17“ wie andere Hörfunksender auch auf die Wiedererkennbarkeit von Formaten durch deren tägliche Ausstrahlung zur selben Zeit und eine auch ansonsten klare Programmstruktur. So gab es etwa um 16.00 Uhr eine U-Performance-Reihe, die von Gästen wie dem Frankfurter Soundpoeten Dirk Hülstrunk oder der Berliner Klangkünstlerin Antje Vowinckel getragen wurde. Um 20.00 Uhr kam jeweils die Sendung „Pop & Pastinaken“, bei der außerhalb des musikalischen Mainstreams angesiedelte Bands wie „SchnickSchnack“ oder „Junge Haut“ Live-Konzerte spielten. Zum einstündigen täglich wechselnden „Guest Streams“ trugen immer ab 23.00 Uhr internationale Radiokünstlerinnen wie die Australierin Sophea Lerner oder die Neuseeländerin Sally Ann McIntyre bei.
Erfrischend unkonventionell
An drei der fünf Veranstaltungstage gab es ab 12.30 Uhr die „Diskussion am Mittag“, ausgerichtet in Kooperation mit dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung. Hier wurde etwa über die Möglichkeit diskutiert, trotz zunehmender Wohnraumverdichtung mit traditionellen Kleingartenanlagen oder auch mit den neuen Ansätzen zu urbanen Gemeinschaftsgärten die allgemeine Lebensqualität anzuheben.
„Datscha Radio“ hat sich als professionelles Kunst- und Kulturradio etabliert, das es trotzdem schafft, seinem Publikum ein erfrischend unkonventionelles Hörerlebnis zu bieten. Selbst die dieses Mal aufgetretenen technischen Störungen änderten daran nichts. Zur Erklärung: Weil der von der Telekom zugesagte Internetanschluss nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt wurde, musste „Datscha Radio 17“ auf mobiles Internet per USB-Websticks zurückgreifen. So kam es zu kürzeren Pufferpausen bei der Übertragung des laufenden Programms an den Server, der daraufhin die Weiterleitung des Streams zum Endgerät des Hörers unterbrach und stattdessen wie in einer Warteschleife Naturaufnahmen von Bienen, Grillen oder fließendem Wasser spielte.

Hidden Places/Self-Made Life

by Rafik Will, 26.08.2016. Medienkorrespondenz; https://www.medienkorrespondenz.de/hoerfunk/artikel/gabi-schaffner-hidden-places-erzaehlte-landschaften-in-island-und-australien-klangkunststueck-deut.html

Gabi Schaffner: Hidden places. Erzählte Landschaften in Island und Australien. Klangkunststück (Deutschlandradio Kultur) // Gabi Schaffner: Selbst gemachtes Leben. Der Tapir im Birkenwald. Feature (Deutschlandfunk)
Mit dem Radio um die Welt
26.08.2016 • Im Oktober dieses Jahres wird in Halle an der Saale das internationale Festival „Radio Revolten“ stattfinden. Dieses Festival für Hörfunkkunst, das mit verschiedenen Veranstaltungen im gesamten Stadtgebiet aufwartet, wird von der Künstlerin Gabi Schaffner mit einem Blog begleitet. Die 1965 geborene Fotografin und Klangkünstlerin, die zwischen Berlin, Frankfurt am Main, Helsinki und Lobo (Texas/USA) ihr Leben verbringt, ist dem Medium Radio schon seit einiger Zeit eng verbunden. Ihr Wirken kommt sowohl in der freien Radio- und Hörspielszene zum Tragen als auch im öffentlich-rechtlichen Hörfunk. So ist beispielsweise ihr originelles, für HR 2 Kultur produziertes Stück „Otto Mötö. Im Universum finnischer Motorenmusik“ noch in bester Erinnerung (vgl. Kritik in FK-Heft Nr. 35/12).
Nun konnte man in diesem August gleich zwei aktuelle, in Eigenregie realisierte Arbeiten von Gabi Schaffner in den Programmen des Deutschlandradios hören. Auf Deutschlandradio Kultur wurde am 5. August das Klangkunststück „Hidden places. Erzählte Landschaften in Island und Australien“ urgesendet. Eine Woche später folgte beim Schwestersender Deutschlandfunk ihr neues Feature „Selbst gemachtes Leben. Der Tapir im Birkenwald“.
In der Soundart-Kategorie bekam der Zuhörer mit „Hidden places“ die Möglichkeit, eine Art Klangreise anzutreten in die sehr unterschiedlichen Landschaften des australischen Kontinents mit seinen heißen Wüsten und der vereisten Insel Island mit ihren Schneewüsten. Die dem Stück zugrunde liegende Arbeitsweise sieht so aus: Wie in einer Pendelbewegung kommen die von Gabi Schaffner aufgesuchten Interviewpartner und die korrespondierenden Fieldrecordings zum Einsatz, Nord- und Südhalbkugel wechseln sich dabei ab. Anders als etwa in einem Feature sind die O-Töne dabei nicht von einer Übersetzung überlagert. Alle Personen sind mit ihrem stark von Dialekt bzw. Akzent geprägten Englisch zu vernehmen. Sie berichten von für sie magischen und oft versteckten Orten, von Eishöhlen, in denen Elfen den Winter verschlafen und von angsteinflößenden schneeverdeckten Felsspalten – oder eben von heiligen Plätzen der australischen Ureinwohner und den geheimen verführerischen Stränden begeisterter Wellenreiter.
Über diesen Kniff gelingt es Schaffner, ohne unmittelbare Ortsangabe aus dem Off den jeweils gegenwärtigen ‘Schauplatz‘ des Geschehens zu offenbaren. Eine wesentliche Rolle spielen bei der Orientierung des Hörers natürlich auch die Feldaufnahmen: Die exotischen Vogelrufe platziert man in Australien, das Knirschen von Schnee unter Wanderschuhen wird in die Schublade Island eingeordnet. Das eigentliche Kuriosum ist aber, dass sich nach und nach die eindeutig scheinenden Zuschreibungen, was Sprachfärbung und Bioakustik angeht, in den Hintergrund schieben und Platz machen für neuartige Geräuschassoziationen – sehr meditativ. Wenn man das Skript mitliest, das im Internet auf der Seite von Deutschlandradio Kultur zu der Sendung verfügbar ist und auch die Übersetzungen beinhaltet, dann kommt zugleich der informative Charakter des Stücks voll zum Tragen.
In ihrem Feature „Selbst gemachtes Leben“ versorgt Gabi Schaffner den Zuhörer mit geballten Informationen über die Szene der Außenseiterkünstler in Finnland. Anlass für diese Arbeit war der Tod des finnischen Künstlers Erkki Pirtola Anfang dieses Jahres. Er gilt als Begründer der Bewegung „Itse Tehti Eläm“ (ITE), was so viel bedeutet wie „selbst gemachtes Leben“ und also der Titel des Stücks wurde. In dem Feature präsentiert Schaffner ihre Aufnahmen von einer gemeinsamen Reise mit Pirtola, der für sein Werk 2011 den ‘Staatspreis der Bildenden Künste Finnland’ erhielt. Das klingt zwar auf Anhieb etwas etabliert, aber im Zentrum der vor bald einem halben Jahrhundert ins Leben gerufenen ITE-Kunst steht der Punk-Spirit des „Do it yourself“. Stationen des Features sind meist abgelegene Höfe, auf denen eigenbrötlerische bis einsiedlerische ehemalige Bauern ihre fernab vom Kunstbetrieb erarbeiteten Konzepte umsetzen.
Hauptarbeitsfeld dieser schon recht betagten finnischen Außenseiterkünstler scheinen Skulpturen zu sein. Der im Untertitel erwähnte Tapir im Birkenwald etwa ist eine solche Skulptur, deren Hauptkörper aus alten Reifen besteht. Besonders radiophon sind naheliegenderweise die schrägen Gesänge, die die vorm Mikrofon versammelten ITE-Künstler zum Besten geben.
Wer von ITE vorher noch nichts gehört hat, beendet das Hören des Features mit dem Eindruck, dass es sich dabei um eine sympathische, freakige Umsetzung des Beuys-Postulats, jeder sei ein Künstler, handelt. Mit beiden Arbeiten gelingt es Gabi Schaffner, das Versprechen des Radios, die fremde Welt in das eigene Wohnzimmer zu holen, einzulösen. Diese besondere Begabung zur künstlerischen Fernreise scheint übrigens auch bei dem Wortspiel auf, das sie mit der Adresse ihrer Website treibt: schaffnerin.net.